erj süd: Ein Interview mit „dem Neuen“

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  • Beitrag veröffentlicht:8. Juni 2021
Jugendreferent Christian Eisbrenner (Foto: privat)

Pfarrer Herbert Sperber hat unserem neuen Jugendreferenten Christian Eisbrenner, der seit 1. Mai für und mit der Ev.-ref. Jugend Süddeutschlands die Kinder- und Jugendarbeit unseres XI. Synodalverbands plant, organisiert und realisiert, einige Fragen gestellt, und daraus ist ein sehr ausführliches, interessantes Interview geworden. Was es mit einem Jugendkirchenmobil, Bushcrafting, Rüstzeiten und der MS EvRefJu auf sich haben könnte – hier erfahren Sie es:

Herbert Sperber: Lieber Christian, „Ein Bayer auf Rügen“ hieß mal eine Serie, nun heißt es bei uns: Ein Berliner in Bayern… Wie kommt´s, dass Du Dich auf den Weg in den Süden zu uns gemacht hast? Und wo kommst Du denn genauer her?

Christian Eisbrenner: Unter den vielen Gründen mal wieder einen Ortswechsel zu vollziehen (ich war davor auch schon der Rheinländer in Berlin und davor der Ossi im Westen und davor DDR-Kind) stechen zwei heraus: Die Liebe meines Lebens habilitiert und lebt somit hier und für uns beide kommt eine Fernbeziehung nicht in Frage. Außerdem haben wir im letzten Jahr gemeinsam ein Tiny House gebaut, das wir zusammen bewohnen wollen und für das wir ein schönes Stück Land suchen. Das gibt es hier unten schon eher (In Brandenburg hat man die Wahl zwischen Agrarwüste, Agrarforst oder Naturschutzgebiet – das ist nicht das was wir suchen). Geboren wurde ich in Erfurt, aber davon habe ich nicht soviel gehabt, weil meine Eltern dann gleich mit mir nach Jena gezogen sind, das hat mich vor dem breiten Thüringisch bewahrt. Als ich sechs war und meine Schwester ein halbes Jahr alt hieß es dann Rolle rückwärts und wir wohnten wieder in Erfurt. Danach zog es mich nach Düsseldorf, wo ich nach dem Empfinden vieler Menschen in meiner Umgebung dialektmäßig ja auch herkäme. In der Zeit bin ich beruflich viel in ganz Deutschland unterwegs gewesen und habe wochenweise fast überall schon einmal gelebt. Mit dem Umzug nach Berlin bin ich in eine Stadt gezogen, die aus vielen Teilstädten (Stadtteile) mit eigenen Stadtteilen (Kieze) besteht und so war ich über die Jahre hinweg Friedrichshainer (Samariterkiez, Halbinsel Stralau, Boxhagener Kiez), Lichtenberger (Viktoriakiez) und Kreuzberger (SO36).

Herbert Sperber: Und wie bist Du eigentlich zu Deiner „Berufung“ als „Berufsjugendlicher“ gekommen? Wer oder was hat Dich zu Deiner Ausbildung geführt und dazu bewogen, christliche Jugendarbeit mitzugestalten?

Christian Eisbrenner: Als Kind hauptberuflicher kirchlicher Mitarbeiter genoss ich die Vorteile der Gemeindehäuser in denen wir lebten: Riesige Räumlichkeiten und ständig Veranstaltungen, Treffen, Christenlehre – kurz: das ganze Programm evangelischen Gemeindelebens. Dementsprechend habe ich die Christenlehre für die erste bis sechste Klasse nicht nur einmal besucht. Der Konfirmandenunterricht (ich bevorzuge heute aus theologisch-didaktischen Erwägungen heraus den Begriff KonfiZeit) dauerte knapp drei Jahre (was ich bis heute gut finde) und daran schloss sich dann eine lange Phase in der Jungen Gemeinde an, in der wir uns selbst unseren Jugendkeller in einem alten Klostergebäude ausbauten, ständig weggefahren sind und der restlichen Gemeinde mit unseren Ideen und jugendlichem Elan auf den Keks gegangen sind. Kurz und knapp: Ich habe viele gute Erfahrungen mit Gemeinde und gemeinsam glauben, leben, handeln. In der Rückschau gab es immer Hauptberufliche, die uns Jugendlichen den Rücken freigehalten haben und uns die Möglichkeit geboten haben lebens- und glaubensmäßig zu wachsen. Mit dem Älter werden kam dann in meinem Leben das Problem auf, dass ich für Jugendarbeit zu alt war, aber es für junge Erwachsene (so die Zeit zwischen 21 bis ca. 30 oder Hochzeit bzw. Kinder) eigentlich kaum Angebote gibt. Somit hatte ich lange Zeit außer Kirchensteuer zu zahlen und regelmäßig im lokalen Gemeindeblatt zu schmökern nicht soviel mit Kirche zu tun. Mit unserem Umzug nach Berlin, war klar, dass ich ein Studium aufnehmen werde und da irgendwas mit Menschen machen will. Bei der Suche bin ich dann über den Studiengang Evangelische Religionspädagogik gestolpert und – wohl dem richtigen Alter geschuldet – es war für mich nicht mehr schlimm, dass ich jetzt das gleiche studiere, wie meine Mutter. Im Gegenteil: Ich selbst habe als Jugendlicher immer von den Hauptamtlichen profitiert, warum sollte ich das also nicht auch heute tun und „Ermöglicher“ sein?

Herbert Sperber: Die Bedingungen von Jugendarbeit sind ja zur Zeit alles andere als optimal. Hast Du Ideen oder auch bereits Erfahrungen, wie Jugendliche dennoch gute Erlebnisse und Begegnungen teilen können?

Christian Eisbrenner: Klar habe ich Erfahrungen, Corona geht ja schon ein Weilchen. Zunächst hoffe ich auf einen ähnlichen Effekt, wie letzten Sommer, da war Jugendarbeit mit realen Treffen nämlich möglich. Aber seit letzten November befinden wir uns ja in einer Art Dauerwelle mit der Folge der Kontaktbeschränkung. Immerhin: Mit einem Menschen darf man sich treffen und darauf fußt folgende Idee, die ich auf meiner letzten Stelle öfter und in verschiedener Form ausprobiert habe. Am erfolgreichsten war die Osternacht der evangelischen Jugend: In der Vorbereitung wurden Duos gebildet, die zur Osternacht einander besuchten und die Zeit bis zum Ostermorgen gemeinsam verbrachten. Des Weiteren brauchte es ein bestimmtes Setting der Kommunikationsgeräte: Die Kamera (Laptop, Tablet, Smartphone, Webcam) wird so positioniert, dass sie relativ viel vom Raum zeigt und gleichzeitig wird das Bild mit der Onlinekonferenzsoftware (Jitsi, Zoom, etc.) auf dem Fernseher oder großen Monitor gezeigt. Und alle TeilnehmerInnen brauchten ein eigenes Smartphone mit den Telefonnummern der Anderen und einer P2P – Videotelefonieapp (Signal, WhatsApp, Jitsi). Außerdem hatte alle Duos die gleichen Zutaten für unser gemeinsames Festmahl, sowie Snacks, Getränke, Kerzen und ein vorbereitetes Mini-Osterfeuer. Diese Anordnung sorgt für mehrere Vorteile: Keine/r ist allein, anstatt körperloser Gesichter ist der ganze Mensch zu sehen und gleichzeitig ist es möglich über das eigene Smartphone privat mit anderen zu quatschen.

Meine Idee von Osternacht ist inspiriert von Jesu Gebet in Gethsemane (Markus 14,32-42 und Matthäus 26,36-46), bei dem er seine Jünger bittet mit ihm zu wachen und zu beten, aber die Deppen schlafen halt immer wieder ein. Nicht so aber die Evangelische Jugend! Sie wacht und betet mit dem Wissen, dass am Morgen nach der durchwachten Nacht der Tod seinen Schrecken verloren hat und Jesus lebt. Die Osternacht ist geprägt von fünf Andachten, die immer in der Kirche stattfinden und gemeinsamen essen, spielen und quatschen. Online war das nicht anders: Ich bin zwar allein in die Kirche gelaufen, aber an den Bildschirmen waren die TeilnehmerInnen ja mit mir unterwegs, genauso wie beim Kerzen entzünden, beim gemeinsamen hören von Evangeliumstexten und beim lauten und stillen Gebet. In den Zeiten zwischen den Andachten haben wir um die Wette gekocht, über das schönste, köstlichste und grusligste Essen abgestimmt und es dann verzehrt, miteinander Uno und Montagsmaler gespielt, einen Film geguckt und uns Musik, die uns geprägt hat vorgestellt. Außerdem wurde reger Gebrauch von Privatquatscherei via Videotelefonieapp gemacht und es war in diesen Phasen nah dran an einer Osternacht, wie sie auch mit physischer Präsenz erlebbar ist. Am Ostermorgen endete unsere durchwachte Nacht mit dem Entzünden eines Mini-Osterfeuers auf dem Fensterbrett und dem Anzünden der persönlichen Osterkerze. Danach dürfen die völlig übernächtigten Jugendlichen ihre Familien mit ihrer Anwesenheit am Ostersonntag beglücken.

Generell sehe ich den Sprung in den digitalen Raum ziemlich positiv: Für junge Menschen gibt es keine Grenzen zwischen analogen und digitalen Raum, das ist eher eine Frage des Nutzens. Das Smartphone gehört zur Lebensrealität junger Menschen, so wie früher der Walkman oder der Schallplattenspieler. Ich bin überzeugt Kirche muss dort sein wo die Menschen sind und wenn Jugendliche heute in digitalen, wie analogen Räumen unterwegs sind, dann müssen wir da auch hin.

Herbert Sperber: Jugendarbeit heißt ja auch: Kirche auf Zeit sein. Eben in der Zeit des Kindseins und der Jugend Kirche erleben. Wann wäre diese Zeit in Deinen Augen eine gute Zeit geworden?

Christian Eisbrenner: Mein Job ist die Kommunikation des Evangeliums für Kinder und Jugendliche so zu gestalten, dass sie in ihrer Lebensrealität abgeholt werden und die Gelegenheit haben zu einer Persönlichkeit heranzuwachsen, die einen „individuierenden-reflektierenden Glauben“ hat. Dazu gehört, dass Kinder und Jugendliche die wohlwollend begleitete Möglichkeit brauchen in jeder neuen Lebensphase 1. die Einstellung zu sich selbst, 2. die Einstellung zu anderen Menschen zu überprüfen und 3. die Schaffung gemeinsamer Werte zu vollbringen. Zu den Aufgaben von Kirche zählt dann in den Transitionszeiten mit Begleitung und Feiern den guten Segen Gottes weiterzugeben. Es gilt die stärkende Hand im Rücken zu sein.

Das ist aber alles die pädagogisch-theologische Erwachsenensicht auf die gute Zeit, die Kinder und Jugendliche hoffentlich in Kirche verbringen. Bei Jugendlichen ist es mir wichtig, wenn sie mit Beginn ihres Erwachsenenlebens sagen können: Kirche ist ein Ort wo ich gerne bin, weil ich dort so sein kann, wie ich bin. Kirche ist ein Ort, wo meine Persönlichkeit gereift ist. Kirche ist der Ort, wo ich mich wohlfühle.

Herbert Sperber: Du hast ja in unserem Gesprächen so einige Ideen eingebracht von dem, was Du Dir gut für unsere Jugendarbeit vorstellen kannst. Magst Du eine oder zwei davon kurz mal skizzieren?

Christian Eisbrenner: Ich bin ja davon überzeugt, dass Kirche zu den Menschen kommen muss und nicht umgekehrt. Deshalb habe ich den Traum eines Jugendkirchmobils: Jede/r kennt die Niederflurbusse des ÖPNV – je nach Größe des Ortes mit oder ohne Gelenk. Ein solcher Bus ist die Grundlage des Jugendkirchmobils. Dieser Bus muss selbstverständlich umgebaut werden (was dann schon die erst Aktion mit Jugendlichen wäre: Planung, Materialbeschaffung, Umbau). Er braucht alles was typische Jugendräume auch so haben: Eine Küche zum gemeinsamen Kochen, eine Musikanlage, Kicker und Tischtennisplatte (zum raustragen), eine gemütliche Sofaecke, einen Holzofen für den Winter, Spiele, Beamer und alles was noch wichtig werden könnte. Außen braucht der Bus außerdem eine Markise und Sitzsäcke und eine Kinoleinwand. Mit dieser Ausstattung reist der Bus dann von Gemeinde zu Gemeinde (oder man trifft sich beim Bus ganz woanders) und genießt die vertrauten Jugendräumlichkeiten an wechselnden Orten.

Auch mit Bauen hat eine zweite Idee zu tun: Bushcrafting ist ein Trend, der in unserer reizüberfluteten Welt gerade an Fahrt aufnimmt und meint das Einsetzen von handwerklichen Fertigkeiten und eigenem Wissen, um mit wenig Material abseits der Zivilisation zu leben. Bushcrafting allein ist schon ein tolles Abenteuer, ich würde nur gerne in solch einem Rahmen ein richtiges Floß bauen. Damit meine ich nicht ein paar zusammengebundene Baumstämme auf dem man sich ständig nasse Füße holt, sondern ein großes Floß, dass eine Zulassung als Wasserfahrzeug bekommt und mehrtägige Reisen bewältigen kann. Es gibt in Bayern ja schon einige Flüsse und Kanäle, die Bundeswasserstraßen sind.  Ich finde Vorstellung die evangelisch-reformierte Jugend Süd ist Bootseignerin der MS EvRefJu zu schön. Und wenn wir dann noch zu einem Kirchenshanty die lila-weiße Flagge hießen….

Also falls jemand jemanden kennt, der/die etwas (mehr) Kleingeld übrig, kann gerne Kontakt mit mir aufnehmen 😉

Herbert Sperber: Jugendarbeit – nicht nur bei uns – ist ja vor allem auch Freizeitarbeit… Wie gestaltest Du denn gerne auch Deine persönliche Freizeit? Und hast du vielleicht den einen oder anderen interessanten Lese- oder Filmtipp für Freizeit(en) auf Lager?

Christian Eisbrenner: Dem ersten Teil möchte ich widersprechen: Evangelische Jugendarbeit ist überwiegend lebensbejahende, demokratiefördernde, aktivmachende, gemeinschaftsbildende Arbeit von, mit und für junge Menschen auf der Suche nach einem Platz im Leben und den bietet das Evangelische daran: Das Wissen, ich bin von Gott gewollt, er hat mich lieb und will, dass mein Leben gelingt. In Berlin fährt man ja auch nicht einfach nur auf Freizeiten, sondern (bedingt durch die DDR-Zeit) auf Rüstzeiten. Ich finde diesen Begriff in der kirchlichen Arbeit viel passender, weil er Angebote mit freizeitlichem Charakter (Skirüste, Sommerrüste) mit seelsorglichen Angeboten, bei denen eine geistliche Vertiefung angestrebt wird (Konfirüste, Adventsrüste) gleichsetzt und ich die Metapher des Rüstens nicht gegen jemanden, sondern für sich selbst so passend finde (heute nennt man das Resilienz). Dass auf einer Freizeit nicht gebetet wird kann ich mir vorstellen (also zumindest dann, wenn ich nicht mitfahre), auf einer Rüstzeit wäre das undenkbar.

Meine Freizeit verbringe ich zum Teil am Computer, weil ich mich leidenschaftlich für Datensicherheit und Kryptografie interessiere. Andererseits bin ich unheimlich gerne draußen unterwegs zum Klettern, Wandern und Entdecken vom Kleinen im Großen. Verschmelzend mit meiner Tätigkeit als Berufsjugendlicher finde ich das breite Feld der empirischen Sozialforschung ziemlich spannend und lese deshalb auch noch ziemlich viel.

Mein Filmtipp: 100 Dinge von Florian David Fitz aus dem Jahr 2018.

Wir danken Christian Eisbrenner für das Interview!

Hier geht es zur Homepage der Ev.-ref. Jugend Süddeutschlands